Harp-o-mania in Osnabrück
Was für ein Anblick: Fünf Mundharmonikaspieler stehen auf der Bühne im Osnabrücker Haus der Jugend und zünden ein Harpfeuerwerk der Extraklasse. Es ist dieses Bild, das bleibt. Das einen nach Hause begleitet. Denn es zeigt eine ausgesprochene Ausnahme in einer meist von der Gitarre dominierten Blueswelt. Das kleine Instrument ist plötzlich ganz groß. Es steht nicht länger im Schatten des allgegenwärtigen Sechssaiters. Mit ihrer Jam-Session am Ende der 14. Osnabrücker Blueslawine öffnen Kellie Rucker, Steve Baker, Keith Dunn, Doug Jay und Mark Hummel den Zuhörern auch die Ohren für verschiedene Spielarten auf der Mundharmonika - genauso wie Gitarristen hat jeder der fünf seinen eigenen Ton. Das ist es, was sich einprägt. Und: Mit ihrem gemeinsamen Auftritt setzen die fünf Musiker einen fulminanten Schlusspunkt hinter mehr als fünf unterhaltsame Stunden Live-Blues vom Feinsten.
Angefangen hatte der Samstagabend mit dem energetischen Auftritt von Richie Arndt & The Bluenatics feat. Kellie Rucker. Das Quartett blies mit einer vielfältigen Mischung aus Bluesrock wie "Hands Off" (Rory Gallagher), Slowblues wie "Tied Up, Tied Down And Twisted" (Kellie Rucker), Train-Songs wie "That Evening Train" (T-Bone Walker), Country-infizierten Stücken wie "Little Brother O' Mine" (Richie Arndt) aus eigener und fremder Feder eine gehörige Portion gute Laune in den Saal. Der richtige Start, um die Zuhörer gleich zu Beginn in Partystimmung zu versetzen. Und dies gelang vorzüglich. So musste Richie Arndt das Publikum nicht lange bitten, einen Schritt näher an die Bühne zu kommen. Es folgte ihm bereitwillig und ohne zu zögern. "Es ist erst zwanzig nach acht - unglaublich. Osnabrück ist immer wieder unglaublich", kommentierte er das Geschehen im Haus der Jugend. Einen gehörigen Anteil daran hatte neben dem exzellenten Saitenzupfer Richie Arndt sowie den Rhythmusgebern Frank Boestfleisch (Schlagwerk) und Jens-Ulrich Handreka (Bass) ohne Frage die zierliche Sängerin und Harpspielerin Kellie Rucker mit ihrer kraftvollen Stimme und ihrem gekonnten Spiel auf der Mundharmonika.
Diese ausgesprochen gute Vorlage des Quartetts nahmen die Lokalmatadoren Doug Jay & The Blue Jays nach einer kurzen Umbaupause routiniert auf. Sie heizten dem Publikum mit druckvollem Blues, treibendem Rock'n'Roll, lässigem Jump-Blues und dynamischem Rhythm'n'Blues weiter ein. Genauso wie Richie Arndt & The Bluenatics hatte sich der Vierer um Bandleader Doug Jay Verstärkung auf die Bühne geholt: "Sax" Gordon Beadle (Saxofon), Thomas Feldman (Bariton-Saxofon) und Chris Rannenberg (Piano) verbreiterten nicht nur das Klangspektrum, sondern setzten auch eigene Akzente. Dazu ließen ihnen Doug Jay (Gesang & Mundharmonika), Christoph "Jimmy" Reiter (Gitarre), André Werkmeister (Schlagzeug) und Jasper Mortier (Bass) genügend Raum - so verließ Doug Jay beispielsweise in der Mitte des Sets für einige Stücke die Bühne. Ganz großes, schweißtreibendes Kino, was das Septett ablieferte. Es zeigte auf, was Blues eigentlich war und ist: Tanzmusik. Hinzu kamen spannende Duelle von Doug Jay an der Harp mit Sax Gordon am Saxofon, Chris Rannenberg am Piano und Christoph "Jimmy" Reiter am Sechssaiter. Besondere Schmankerln dank virtuoser Künstler. Und nicht unerwähnt soll der Auftritt von Bluescasters-Gitarrist Kai Strauß bleiben. Als Special Guest veredelte er wie bereits auf dem aktuellen Doug Jay & The Blue Jays Album "Under The Radar" die beiden Stücke "If It's Love" und "Under The Radar".
Danach verlangsamte sich das Tempo ein wenig, als Mark Hummel & The Blues Survivors zum Harmonica Blowout nacheinander Steve Baker und Keith Dunn für jeweils vier Stücke auf die Bühne holten. Besonders der aus Boston stammende Keith Dunn ließ es ruhiger angehen und gönnte dem Publikum eine Verschnaufpause. Mit sonorer Stimme sang er von Liebe, Sehnsucht und Leidenschaft. Trotz reduzierter Geschwindigkeit war sein Spiel ebenso intensiv und packend wie das der vorangegangenen Akteure. Erst als Mark Hummel sich höchstpersönlich im schicken Anzug und mit braunem Hut zu den coolen Blues Survivors auf die Bühne stellte, beschleunigte sich die Tonabfolge wieder. Der "Harmonica God" (Blues Revue) ließ zusammen mit seiner Band der schwitzenden Meute im vollen Saal West-Coast-Style mit einer kräftigen Brise Chicago-Blues um die Ohren wehen. Und bei ihnen geschah alles auf Zuruf. Nur Mark Hummel schien zu wissen, welcher Song als nächstes kommen sollte. Eine Setlist klebte nirgendwo. Es konnte "She's Got It" auf "So Glad" folgen oder "Humblebug" auf "Creeper Returns". Alles war möglich. Doch Bob Welsh (Gitarre & Bass), Marty Dodson (Schlagzeug) und Rusty Zinn (Gitarre) schien dies nicht zu beeindrucken. Sie ruhten in sich selbst. Vor allem der brillant aufspielende Rusty Zinn verzog selbst bei seinen Soli keine Miene - California Coolness. Und dann ist die Harp-o-mania auf ihrem Höhepunkt: Kellie Rucker, Steve Baker, Keith Dunn und Doug Jay betreten wieder die Bühne ...
BluesNews 53, März 2008. Von Ralf Baur